Text: Oliver Brehm, Freizeitläufer
Eigentlich sollte es Urlaub werden. Eigentlich. Aber seit über eineinhalb Jahren laboriere ich zusammen mit Physiotherapeuten, Orthopäde, Coach und Trainer an einer Reizung des Schleimbeutels an der Achillessehne. Und nach mehr oder weniger erfolgreichen Marathonläufen in den letzten zwei Jahren, habe ich drei Dinge eingesehen: ich werde nicht jünger, ich sollte Verletzungen endlich mal auskurieren und mich nicht zu einseitig belasten – was liegt da näher als Triathlon auszuprobieren?
Außerdem habe ich immer gesagt, wenn ich beim Laufen keine Chance mehr habe schneller zu werden, mache ich Triathlon. Nach einem miserablen Finish beim Boston Marathon im April ist die Entscheidung final gefallen – und mein Orthopäde und Lauffreund Christoff hat mir nahegelegt, man könnte auch sagen befohlen, die nächste Zeit etwas weniger und weniger intensiv zu laufen. Maxi mal 3 Mal pro Woche und maximal 12 km pro Einheit. Das ist für den ambitionierten Freizeit-Wettkampfläufer fast wie ein Todesurteil. Marathon-Vorbereitung? Unmöglich. Strukturiertes Training? Kannste vergessen. Bahntraining, Steigerungsläufe, Intervall-Training? Alles was dem Läufer lieb und teuer ist, vorbei. Zumindest erst mal. Ich weiß, normale Menschen und Nichtläufer schütteln jetzt verwirrt den Kopf. Alle Läufer, und insbesondere die Gattung ambitionierte Freizeitläufer, verstehen was ich meine. Und so ein paar Monate später wundere ich mich selbst über das, was meine Psyche da mit mir gemacht hat. Das ist schon seltsam. Anstatt sich zu freuen, dass man ärztlich verordnet andere Sportarten ausprobieren kann oder gar sollte, ist man anfangs völlig planlos. Nein, sogar enttäuscht und verärgert. Natürlich auch auf sich selbst. Immer wieder die gleichen Fragen stellen sich mir. Warum habe ich nicht früher die Notbremse gezogen? Warum bin ich nicht früher zum Arzt? Warum laufe ich weiter, auch wenn ich Schmerzen habe? Klar, ich laufe halt gern. Ich bin ambitioniert und möchte meine Ziele erreichen. Und der Figur tut es auch gut. Außerdem ist man ja irgendwann mal in so Sportlerkreisen und überbietet sich gegenseitig mit Ergebnissen, Ambitionen, Erlebnissen. Auch hat man langfristig Marathon-Reisen geplant und letztlich auch gebucht. Und wer weiß, wie oft man sich noch für Boston qualifiziert? Alles nachvollziehbar, alles keine Gründe sich kaputt zu machen.
Nach ein paar Wochen des Suchens nach neuen Zielen ist klar, ein besonderer Wettkampf muss her. Aber es sollte schon im Ausdauersport bleiben und Triathlon hat mich schon immer fasziniert. Es ist klar, dass ich mich auf eine Distanz beschränken muss, die mit meinen ärztlichen Vorgaben zu erfüllen ist. Dabei gibt auch es noch ein entscheidendes Problem. Ich kann nicht kraulen. Mitte Juni melde ich mich für den Red Bull Tri-Islands auf den drei Nordseeinseln Amrum, Föhr und Sylt an. Der Termin passt gut, denn am 09.09. wollten wir sowieso an der Nordsee Urlaub machen. Meine Frau ist mäßig begeistert – Urlaub mit Wettkampf ist doch kein Urlaub. Aber ich bin Feuer und Flamme und „verlängere“ den Urlaub um zwei Tage wegen der notwendigen Wettkampfanreise und um die Wettkampftage zu kompensieren.
Neue Herausforderungen: Vorbereitung ist alles, daher frage ich meinen Coach Bennie, ob ich in knapp zwölf Wochen das Kraulen lernen kann – mir seiner Hilfe. Er hat zugestimmt es zu versuchen. Er wusste ja, vorauf er sich einlässt. Ein erster zaghafter Triathlon-Versuch vor zwei Jahren hat auch nur funktioniert, da er mir in vier Wochen die nötigen Basics mit auf den Weg gegeben hat. Das Schwimmen war zwar ein Desaster, aber ich konnte die 400m kraulen. Naja, oder sowas ähnliches. Kraulen würde ich es nicht unbedingt nennen. Es sah wohl eher nach einem Versuch aus, nicht zu ertrinken und dabei vorwärts zu kommen. Ich bin zwar motiviert, aber kein Naturtalent, um es mal vorsichtig zu formulieren. Nach der ersten Schwimmstunde war ich nicht nur emotional sondern auch körperlich total am Ende. Und unsicher, ob ich das bis zum Wettkampftag schaffe. Nein, unsicher trifft es nicht. Ich hatte Angst. Ganz ehrlich, es ist nicht leicht, sich seiner Angst zu stellen, neue Herausforderung anzunehmen und die Komfortzone zu verlassen. Das Neue ausprobieren mit dem Risiko zu scheitern. Das wird schon, sage ich mir in den folgenden Wochen immer wieder. Zweifle aber ob der ausbleibenden Trainingsfortschritte. Ich frage meinen Trainingspartner und Freund Swen, seinesgleichen ehemaliger Profitriathlet, Ironman-Gewinner und einer meiner Boston-Marathon Reisebegleiter, ob er mich begleiten möchte zum Triathlon an die Nordsee. Und er sagt spontan zu. Zum Glück, denke ich mir erleichtert. Wenigstens einer der mich begleitet und im Zweifel aus der Nordsee rettet?! Mein Training geht voran und neben zweimal Schwimmen pro Woche kommt noch Rad-, Kraft- und Stabitraining dazu. Furchtbar zu erleben wie grausam schlecht meine Form ist. Ich war echt schon mal fitter. Die Wochen ziehen dahin und langsam stellt sich sowas wie Wassergefühl ein. Mir wird bewusst, dass ich keine Ahnung von Triathlon habe und die Komplexität der drei zu trainierenden Sportarten völlig unterschätzt habe. Ebenso macht mich die Herausforderung des Wechsels zwischen den drei Disziplinen nervös. Man muss sich ja umziehen und die Zeit, die man dafür braucht, zählt schließlich zur Endzeit dazu. Ein Trainings-Wettkampf wäre genau richtig, um einen ersten Formtest zu absolvieren und das mit dem Wechsel wenigstens einmal in Live probiert zu haben.
Trainingswettkampf: Der Erlangen Triathlon läuft in eineinhalb Wochen und ich beschließe für diesen ausgebuchten Traditions-Triathlon noch einen Startplatz zu bekommen. Ich stelle mal wieder fest, ich bin ein Anfänger und weiß nichts von Triathlon. 800 Starter und seit Monaten ausgebucht. Für die Mitteldistanz (also 2 km Schwimmen, 80 km Radfahren und 21 km Laufen) könnte ich noch einen bekommen. Aber das gibt weder mein Trainingszustand noch meine ärztlich Vorgabe her. Jetzt heißt es Kontakte zu nutzen und ich bekomme mit Glück noch den Startplatz für die Kurzdistanz (1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren und 11 km Laufen) eines Athleten, der nicht antreten kann. Zwei Tage vor dem Wettkampf bekomme ich die Zusage. Wow, jetzt muss ich wohl. Ich brauche gefühlte drei Stunden meine Sachen zu packen, das Rad zu putzen und spüre eine deutliche Anspannung. Aber nun darf ich nicht mehr kneifen. Bei der sogenannten Rennbesprechung am Abend vor dem Wettkampf fühle ich mich unwohl. Das hier ist noch nicht meine Welt und ich treffe einige bekannte (Lauf-)Gesichter, die sich wundern und offen fragen was ich hier mache. Wenn ich das wüsste … Sonntag, Renntag. Der Start ist um 9:00 h, also treffe ich mich mit Bennie um 7:00 h. Er hat meine Nervosität gespürt und kommt als Betreuer mit. Quasi Händchen halten. Wie tief kann man sinken? Ich war mal erfahrener Wettkampfläufer. Und heute? Rookie! Anfänger! Nervös und zittrig. Ich checke mein Rad ein in der Wechselzone und treffe meinen alten Schulfreund Stefan. Er hat schon etwas Triathlon-Erfahrung, aber er ist auch nervös. Die Wettkampfbesprechung gibt Neo (Neoprenanzug) frei, da die Wassertemperatur unter 24° C beträgt. Zum Glück, ohne hätte ich noch weniger Chancen einigermaßen passabel ins Ziel zu kommen. Wir wackeln nach der Beutelabgabe gemeinsam zum Schwimmstart. Es kribbelt gewaltig im Bauch und ich bin schon ziemlich auf das Schwimmen im Kanal gespannt. Neo anziehen (hinein quetschen trifft es eher), Schwimmmütze und -brille auf, langsam gehen wir zum Einstieg und schwimmen uns ein. Das Wasser riecht und schmeckt besser als ich erwartet hätte und ist auch nicht trüber als im Rothsee, mein derzeitiges Freiwasser-Übungsgewässer. Ich Reihe mich hinten ein, um möglichst wenig Tritte abzubekommen und nicht von allzu vielen Schnelleren überholt zu werden. Der Startschuss fällt und wir kraulen los. Er läuft gefühlt besser als erwartet. Allerdings werde ich nach der Kehre müde und langsamer. Und tatsächlich von zwei Frauen überholt – brustschwimmend und von rechts. Frechheit. Sie hätten sich wenigstens an die Verkehrsregeln halten können und von links überholen können. Die nächsten Athleten von hinten überfliegen mich förmlich, es sind die Athleten der Mitteldistanz, die nicht nur 5 Minuten später als wir, sondern auch 500 m weiter hinten gestartet sind. Aber auch für mich kommt der Schwimmausstieg langsam (wirklich ziemlich langsam) näher und ich bin guter Hoffnung bei der nächsten Disziplin wieder Boden gut zu machen. Die Beine sind etwas weich, als mir die Freiwilligen aus dem Wasser helfen. Stefan sehe ich nicht mehr, der ist wohl (erwartungsgemäß) vor mir. Aber ich bin fokussiert und renne in die Wechselzone. Jetzt heißt es Beutel finden, aus dem Neo schälen und ab zum Rad. Schuhe an, Helm auf, Brille nicht vergessen und los. Schnell ein Energie-Gel und in Radschuhen eher gemächlich rennen als sprinten Richtung offiziellem Radaufstieg. Da war noch was. Startnummer – verdammt, wo ist die Startnummer? Noch am Lenker. Jetzt nur locker bleiben und nicht gleich am Anfang stürzen. Es geht um eine enge 180° Kurve und gleich bergauf über die Kanalbrücke. Zum Glück habe ich einen kleinen Gang drin. Eigentlich soll ich die ersten Kilometer locker kurbeln, aber es läuft gut und ich schalte hoch. Nach 3 km sehe ich Stefan wieder und gehe in die Zeitfahrposition und kann ihn überholen. Die Radstrecke liegt mir und ich kann einige Plätze gut machen, insbesondere bergauf. Kurz vor der Wechselzone schalte ich runter, nur nicht mit dicken Beinen in die Laufschuhe. Das Rad wird mir gleich nach dem Abstieg abgenommen und schon heißt es nächsten Beutel schnappen und ab in die Laufschuhe. Ich laufe zum ersten Mal barfuß, um nicht unnötig Zeit für das Socken anziehen zu verplempern. Fühlt sich besser an, als erwartet. Die Laufstrecke ist erschreckend schwer mit Schotter, Brücken, über den Sportplatz, mit Stufen, Ecken und Kurven. Aber dafür abwechslungsreich. Es wird langsam ziemlich heiß, über 30° C sind heute Mittag angesagt. Ich trinke an jeder Verpflegungsstation und komme gut voran. Ein Schnitt von 4:03 min./km sind es am Ende und damit eine der schnellsten Laufzeiten – der Titan ist in seinem Element. Inklusive aller Wechsel und trotz einer Schwimmzeit von 37 Minuten komme ich in 2:31 Stunden als 56. ins Ziel. Damit bin ich zwar weit weg von gewohnten Platzierungen im Laufen, aber immerhin.
Die Vorbereitung: Mein Training geht nun in die nächste Stufe. Ab jetzt heißt es dreimal die Woche Schwimmen und einmal davon im Freiwasser. Ich finde mich damit ab und so langsam genieße ich es sogar die Schwimmeinheiten zu absolvieren. Mittwoch früh um 7:00 Uhr im Freibad zu stehen und mit den anderen Schwimmern, Triathleten und Rentnern in die Fluten zu stürzen macht mir irgendwie sogar Spaß. Einmal in der Woche habe ich mit Bennie Schwimm-Coaching. Fast jedes Mal denke ich danach „das lerne ich nie“. Bennie ist jedoch zuversichtlich, dass ich es schaffen kann. Neben dem Schwimmen, muss ich nun auch regelmäßig und intensiver Radfahren. Nach dem Triathlon-Versuch vor zwei Jahren hatte ich mir fest vorgenommen, mehr Rad zu fahren. Naja, bei dem Vornehmen ist es auch geblieben. Dennoch, eine Zeitfahrmaschine, also ein speziell aerodynamisch optimiertes Rennrad mit Unterarm-Liegeposition habe ich mir vorsichtshalber zwischenzeitlich zugelegt. Immerhin wurde ich mit so einem Rad von einer Frau überholt. Und das hat schon sehr an meinem Ego gekratzt. Aber das Ding fährt sich noch unbequemer als es aussieht. Nach einer halben Stunde schlafen mir die Arme ein, es kribbelt überall, die Schultern, der Nacken und der untere Rücken schmerzen und länger als eine Stunde halte ich es nicht aus. Dann quälen mich zwei drei Tage Schmerzen an Stellen, wo ich gar nicht wusste Muskeln zu haben. Angela, meine Physiotherapeutin (und Profi-Triathletin) sagt, das sind die Rhomboiden. Naja, egal was da weh tut, es tut verdammt weh und zwar jedes Mal. Also wechsle ich zwischen meinem klassischen Rennrad (auf dem ich die längeren Einheiten fahre) und der Zeitfahrmaschine. Mit den Wochen geht auch das langsam besser und die Schmerzen reduzieren sich soweit, dass ich nach eineinhalb Stunden Zeitfahrmaschine nur einen Tag Schmerzen habe. Auch im Spiegel stelle ich Veränderungen an meinem Körper fest: Schultern werden breiter, die Brustmuskulatur ist deutlich zu sehen und der Latissimus zeichnet sich auch leicht ab. Das Bauchfett reduziert sich und man kann mit viel gutem Willen und etwas Fantasie sogar Bauchmuskeln erkennen, meine ich. Oder sind das die Abdrücke vom Neo? Egal, es fühlt sich auf jeden Fall gut an, wenn man sieht, dass sich der Aufwand wenigstens figürlich lohnt.
Tri-Islands: Es wird Zeit sich mit dem eigentlichen Wettkampf zu beschäftigen, nicht nur mit mir selbst. Mir wird immer bewusster, das wird eine echte Herausforderung. Also nicht nur für mich. Die erste Zeit dachte ich, es ist eine normale olympische Distanz mit 1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren und 10 km Laufen. Das hätte mir eigentlich angesichts der Tatsache, dass alles in und an der Nordsee stattfindet schon gereicht. Aber für ein Red Bull Event (warum realisiere ich das mit Red Bull als Titelsponsor eigentlich erst jetzt) ist das natürlich zu wenig. Wo bleibt da der Spaß? Es sind ca. 2,5 bis 3 km Schwimmen in der Nordsee. Also im offenen Meer. Von einer Insel zur nächsten, also von Amrum nach Föhr. Wassertemperatur je nach Witterung und Verlauf des Sommers zwischen 16 und 18 ° C. Das an sich hört sich ja eigentlich schon ziemlich abschreckend an. Von den Strömungen und Prielen möchte ich noch gar nicht reden. Wenn dann noch Wellen dazu kommen, wird das sicher kein Spaß. Die 40 km-Radstrecke auf Föhr hat zwar null Höhenmeter, dafür aber mit Windgarantie und der kann an der Nordsee ordentlich ausfallen. Zumindest ausgeglichen, mal Gegen-, mal Rückwind. Normalerweise. Manchmal hat man auch Pech und der Wind dreht. Danach geht es ca. 30 Minuten mit einem 12-Mann-Speedboot zur Laufstrecke nach Sylt. In Hörnum erwartet uns eine ca. 11 km-Laufstrecke: über Dünen und ca. 3 km durch knöcheltiefen, feinen Sandstrand. So langsam wird mir bewußt, dass dieser Wettkampf nur aus Circa-Angaben besteht, sogar in der offiziellen Ausschreibung. Dieser Sache muss ich mal auf den Grund gehen.
Nachdem ich regelmäßig mit Swen trainiere wird mir klar, der kann und wird nicht auf mich warten. Ich brauche eine Plan B für die Schwimmbegleitung, denn er ist so viel schneller, dass er vermutlich schon fast mit dem Radfahren fertig ist, bis ich an Land gespült werde. Er wird mich also nicht retten können. Ich weiß, klingt ziemlich nach Schisser, ich würde es eher realistisch nennen. Meine Orientierung im trüben Wasser ist schlecht und meine Schwimmtechnik tendenziell eher untergalagtisch. Bei einem guten Schwimmer machen die Rahmenbedingungen nicht so viel aus, bei einem schwachen Schwimmer jedoch enorm viel. Also wäre es für mich gut, einen Begleiter zu haben, dem ich einfach nur hinterher schwimmen muss. Ich frage Angela, ob sie nicht noch einen Wettkampf im September machen möchte. Wir teilen uns seit Jahren als Team den Fränkische-Schweiz-Marathon und haben auch schon drei, vier Mal gewonnen, also hoffe ich sie an der Ehre packen zu können. Angela wird beim Schwimmen auch nicht auf mich warten, das ist klar. Aber ich weiß, wenn Angela mitkommt, könnte ich Chancen haben, dass auch Bennie mitkommt. Und den könnte ich vielleicht dazu überreden. Und was soll ich sagen, ich kann einfach besser Menschen überzeugen als Schwimmen. Irgendwann haben beide zugesagt und Bennie schwimmt sogar mit mir. Ich kann mein Glück kaum fassen und bin deutlich erleichtert. Nicht dass hier ein falscher Eindruck entsteht, schwimmen muss und werde ich schon ganz alleine. Aber ich habe mit Bennie jemanden, dem ich erstens vertraue und zweitens jemanden, der mir bei dem trüben Nordseewasser, den Strömung und Wellen den Weg zeigt. Da wir nun ein richtiges Team sind, brauchen wir auch adäquate Team-Kleidung und damit beauftrage ich Angela. Sie lässt uns einen Triathlon-Einteiler (also Hose und Shirt in einem mit speziellem Sitzpolster zum besseren Ablaufen des Wassers) designen und drucken. Liefertag ist Mittwoch vor dem Tri-Islands – perfekt.
Die Wettkampfwoche: Die Nervosität erreicht in der Woche davor ihren Höhepunkt – angeblich habe ich alleine zehn E-Mails innerhalb von drei Tagen an meine drei Begleiter geschrieben. Nachdem ich scheinbar der einzige bin, der sich mit der Organisation (Anreise, Unterkunft, Packliste, Wattwanderung etc.) beschäftigt hat, geht es ja nicht anders. Okay, zugegeben, das hätte man auch ein paar Wochen früher machen können oder koordiniert und alles in einer Nachricht zusammen fassen. Aber besser so, als gar nicht. Und Nervosität ist ja bekanntlich auch ein Zeichen dafür, dass man sich mit einer Sache beschäftigt. Apropos beschäftigt, eigentlich war geplant, dass wir alle auf Sylt schlafen und nur zum Wettkampf nach Föhr fahren, denn der Start ist ja erst nachmittags um 14:15 Uhr. Was ich nicht wusste, man muss verpflichtend vorher eine Wattwanderung machen die startet um 8:50 Uhr und zwar auf Föhr. Das wäre zwar machbar von Sylt aus, ist aber ein, wie mir scheint, viel zu großer zeitlicher Aufwand. Also versuche ich eine Woche vor dem Tri-Islands noch eine Ferienwohnung auf Föhr, natürlich in Nähe zum Start/Wechselzone, zu bekommen. Diese Idee hatten scheinbar ein paar Athleten ausser mir auch. Ich prüfe alle Portale und schreibe wie wild verschiedene Vermittler an. Die einen wollen uns für drei Nächte nichts geben, die anderen haben nichts frei. Hotels sind ausgebucht. Ich erzähle das meiner Assistentin und die schafft es innerhalb von wenigen Stunden eine Ferienwohnung für uns vier in unmittelbarer Nähe zum Start zu bekommen. Wie auch immer sie das gemacht hat, für mich ist sie die Beste. Damit wäre Problem eins gelöst. Problem zwei stellt sich erst vier Tage vor dem Wettkampf als Problem heraus. Die Wattwanderung. Ich habe zwar schon ein paar mitgemacht, aber noch nie in Zusammenhang mit einem Wettkampf. Bei einer Patientenveranstaltung am Dienstag Abend unterhalte ich mich mit Kunden beim Essen über diese Wattwanderung und sie raten mir von meinem ursprünglichen Plan ab – entweder barfuß oder in Turnschuhen zu gehen. Barfuß wäre zu gefährlich wegen der scharfkantigen Muscheln und Turnschuhe sind nicht geeignet, da sie sich mit Wasser, Sand und Schlamm vollsaugen und im Schlick stecken bleiben können. Surfschuhe oder spezielle Neoprensocken mit Sohle wären laut einer KiKa-Sendung optimal. Na toll. Wo soll ich bitte so kurzfristig Surfschuhe herbekommen? In Mittelfranken? Online-Bestellung? Dafür reicht die Zeit nicht mehr, denn wir fahren Donnerstag früh um 7:00 Uhr los. Ich informiere nachts in einer hektischen E-Mail meine Mitstreiter. Am Mittwoch früh gehe ich um 7:00 Uhr zum letzten Schwimmtraining und treffen Swen. Er rät mir, bei unserem Radhändler und Triathlon-Spezialisten Bodo vorbei zu fahren, der könnte vielleicht solche Socken haben. Bodo macht erst um 9:00 Uhr sein Geschäft auf, also fahre ich erst heim und ziehe meine für abends geplante Radtraining vor, verschiebe ein paar Termine und mache mich mit der Zeitfahrmaschine auf den Weg zu Bodo. Er ist gut sortiert und zieht tatsächlich aus irgendeiner Schublade die gewünschten Neoprensocken. Ich kaufe vier Paar für uns alle und sende gleich noch eine E-Mail an die anderen drei. Geschafft! Ich fühle mich jetzt schon fast so, als hätte ich den Triathlon gewonnen. Dabei ist nicht mal die Vorbereitung richtig abgeschlossen.
Der Tag vor dem Wettkampf: Angela, Bennie und Swen reisen direkt nach Föhr an über Dagebüll mit der Autofähre. Da meine Frau und ich nach Sylt gefahren sind, wo wir auch unseren Urlaub machen, muss ich mit der Fähre von Hörnum nach Föhr nachkommen. Mein Fahrrad haben die drei dabei. Mein Gepäck habe ich bereits daheim für den Wettkampf vorbereitet und extra gepackt. Früh noch schnell mit meiner und Frau und den Hunden an den Strand in Rantum zum Gassi gehen und von dort direkt weiter um 10:00 Uhr mit der Fähre Adler IV von Hörnum nach Föhr – so der Plan. Leider ist das Wetter schlecht, es regnet und stürmt – Böen bis 75 km/h, die Wellen brechen ungewöhnlich früh und sind verdammt hoch. Wir gehen trotzdem Gassi, verkürzen aber die Strecke etwas. Während der ganzen Strecke fragt mich meine Frau, warum ich mir das antue, wem ich was beweisen muss und dass sie auf keinen Fall zulässt, dass ich bei so einem Wetter starte. Ich liebe diese Zuversicht. Zurück am Auto ruft die Reederei an: die Fähre kann aufgrund des Wellengangs nicht fahren. Sie könnten mir anbieten mit der Adler Express Fähre nach Amrum zu fahren und dann darauf hoffen, dass ich dort mit einer Fähre weiterkomme nach Föhr. Das können sie mir aber nicht garantieren. Ich lehne dankend ab, denn ich muss heute noch die Startunterlagen auf Föhr abholen – egal wie. Das ist mir zu unsicher. Meine Frau nutz die Steilvorlage und redet auf mich ein, das ganze doch einfach abzusagen. Nein, nicht meine Art. Außerdem kann morgen schon wieder die Sonne scheinen, sage ich trotzig mit einem Rest Zweifel. Ich kann die drei doch jetzt nicht alleine lassen und rufe sie kurz an und berichte von der ausgefallenen Fähre. Ein Plan B muss schnell entwickelt werden und Bennie schlägt vor, aufs Festland zu kommen und von dort mit der Fähre nach Föhr – die ist größer und fährt laut Ferienwohnungsvermieterin bei fast jedem Wetter. Ich checke die Bahn- und Fährverbindungen und setze mich um 10:30 Uhr in den Zug nach Niebüll. Der ist brechend voll, da sowohl Schulklassen als auch Handwerkertrupps, die auf der Insel arbeiten und auf dem Festland leben wegen des schlechten Wetters früher Feierabend gemacht haben und heim fahren, den Zug bevölkern. Aber ich bin glücklich, überhaupt eine Alternative gefunden zu haben und freue mich über meinen Stehplatz im Gang. Der Anschlusszug zur Fähre geht zwar pünktlich, aber wir müssen ungeplant halten um einen anderen Zug vorbei zu lassen. Um 11:25 Uhr geht die Fähre nach Föhr. Das wird knapp. Ich schaffe es als letzter Gast geradeso drauf zu kommen nach kurzer Diskussion mit dem Kartenkontrolleur. An Bord gönne ich mir ein Fischbrötchen und einen Cappuccino. Und langsam lässt auch der Wind etwas nach, meine ich. Fast Perfekt also. Angela und Bennie holen mich in Wyk ab und wir fahren direkt zur Startnummernausgabe zur Standkorbhalle Utersum. Alles ist viel kleiner, familiärer als bei großen Marathons und wirkt ziemlich improvisiert. Meine Erwartungen waren irgendwie größer, bombastischer und kommerzieller. Es gibt nichts außer Startnummern und ein paar Softgetränke vom Hauptsponsor. Das wars. Kaum Leute da, kein Merchandising, keine Verkaufsstände oder Triathlon-Messe, auch fast keine Athleten. Die kommen scheinbar erst später. Die zum Campingplatz umfunktionierte Wiese ist auch noch fast leer. Die Strecke ist noch nicht markiert oder abgesperrt. Findet der überhaupt statt? Doch, der findet statt, wird mir versichert. Wir fahren zur Unterkunft und treffen Swen. Er musste noch eine Telefonkonferenz führen und heute Abend noch mal eine. Für sowas hätte ich heute keine Nerven. Wir gehen nach dem Auspacken und Räder ausladen zum Testschwimmen. Ich wäre ja niemals auf so eine Idee gekommen. Also Neo einpacken und bei 17° C Luft- und 16° C Wassertemperatur zum ‚Anwassern‘. Ich habe nur den Triathlon-Einteiler dabei, ziehe daher nur ein Unterhose unter den Neo. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie seltsam einen die Leute ansehen, wenn man sich bei leichtem Regenschauer unterstellt und dann auszieht um Schwimmen zu gehen. Bis vor kurzem hätte ich solche Typen auch etwas verständnislos oder bewundernd angesehen. Schnell noch ein Beweisfoto machen und ab ins Wasser. Zielsicher erwischen wir natürlich eine Buhne, trotz Kennzeichnung. Vielleicht liegt es an der Temperatur die unsere Hirnfunktionen verlangsamt? Nein, dafür sind wir eigentlich zu kurz im Meer. Zum Glück hat der Wind nachgelassen, sodass nur mäßig Wellengang ist. Wir kraulen los und beim zweiten Atemzug ziehe ich bestes Nordseewasser tief in die Lungen – und erinnere mich auch wieder schlagartig an Bennies Worte wenn die Welle kommt, kurz mit dem Atmen warten. Komisch, es brennt gar nicht so schlimm wie erwartet, schmeckt nur recht salzig. Zwei mal husten und weiter geht es. Im Schwimmschatten von Angela kann ich sogar ein paar richtig gute Züge machen und komme schnell voran, so schnell war ich noch nie. Wir treffen andere Teilnehmer im Wasser. Sie erklären uns, wo die Strömung am stärksten ist und dass wir keinesfalls dagegen anschwimmen sollen, das wäre zwecklos. Na das kann ja heiter werden, denke ich mir. Das Gefühl für die Wellen wird besser und nach nur 10 Minuten gehen wir schon wieder an Land. Bin verwirrt. War das unser Anwassern schon? Ja, erklären mir die Profis, es geht nur darum ein erstes Gefühl für das Meer, die Wellen und die Strömung zu bekommen. Bei uns meldet sich der Hunger und wir beschließen Kuchen essen zu gehen. Nach der Anstrengung gönne ich mir gleich noch ein Stück Hawaii-Pizza beim Bäcker zum Kuchen dazu. Da jeder Triathlet von der WM in Hawaii träumt, erscheint mir das passender als ein Stück Speziale. Das ist das schönste am Wettkampf, man darf Essen worauf man Lust hat. Und ich habe Lust auf Zwetschenkuchen. Kuchen soll in Norddeutschland viel besser sein als im Süden – ein Grund mehre zu probieren. Also noch ein Stück Apfelkuchen. Und es stimmt, der Kuchen ist wirklich sehr lecker. Aber einem hungrigen Wolf schmeckt bekanntlich alles. Im Anschluss schlendern wir noch durch Nieblum. Nett ist es hier, typisch friesisch, fast so schick wie Sylt. Bei einem Immobilienmakler stellen wir fest, dass auch die Preise nicht weit entfernt sind von denen auf Sylt. Wir fahren zurück nach Utersum in unser Ferienhaus und packen unsere Beutel für die Wechsel. Es gibt so vieles einzupacken und zu bedenken. Jetzt nur nichts verkehrt machen, sonst muss ich beim Schwimmen die Sonnenbrille tragen und auf dem Rad die Bademütze statt den Helm. Ich fühle mich überfordert – drei Aufkleber für zwei Beutel. Was ist in Gottes Namen der Zusatzbeutel? Wo kommt der hin? Was kommt da rein? In den Unterlagen findet sich dazu mal wieder nichts. Die Frage muss bis zur Wettkampfbesprechung warten. Ab 18:00 Uhr beginnt in der Strandkorbhalle das Wettkampf-Barbecaue und um 20:00 Uhr die Wettkampfbesprechung – Pflicht für alle Athleten. Das Buffet ist wirklich reichlich und wir versuchen nochmal viele Kalorien zu uns zu nehmen, da sind wir auf jeden Fall unter den Top Ten. Es gibt nur alkoholfreies Weißbier, was zwar vernünftig ist, aber zu unserer Stimmung würde richtiges Bier besser passen. Wir beschließen nach dem Essen noch in eine Kneipe zu gehen, vielleicht ist das ja mein letztes Bier? In Anbetracht der Informationen heute Abend, muss ich das als nicht unwahrscheinlich betrachten. Der Sprecher des Orga-Teams, er sieht eher aus wie ein Maskottchen, vorsorgt uns mit den wesentlichen Informationen: Nach einer ca. dreistündigen Wattwanderung durch zum Teil hüfttiefe Priele und Gräben vom sogenannten Basecamp auf Föhr (Strandkorbhalle/Wechselzone) warten wir ca. zwei Stunden im Lager auf Amrum auf die Flut. Da ist es wieder, hier ist alles Circa. Aber vielleicht klärt sich das ja noch auf. Hierfür sollten wir einen Rucksack mitnehmen, der dann in den weißen Beutel gepackt werden kann, wenn man auf Amrum ist. Sonst schneiden sich die Schnüre vom Beutel zu sehr in die Schultern, denn darin wird der Neoprenanzug und die restliche Ausrüstung transportiert. In den blauen Beutel kommen alle Wechselsa
chen für das Ziel und natürlich der Verzehrgutschein für das Sansibar-Catering. In den ominösen Zusatzbeutel, der nicht dabei ist, kann man die Sachen reinpacken, die man für die Bootsüberfahrt nach Sylt braucht (es wird eine warme Jacke und Mütze empfohlen), die bekommt man dann abends wieder auf der Fähre zurück nach Föhr. Überhaupt die Bootsfahrt. Vorher Schuhe anziehen, denn am Boot kann es sehr ruppig sein und man sollte sich besser festhalten, da man mit 16 Knoten und schneller über die Wellen bügelt. Je zwei 250 PS-Außenboardmotoren liefern dafür die nötige Leistung. Das Schwimmen sollen wir keinesfalls unterschätzen, denn die Strömungen und Priele können uns 500 m und mehr abtreiben – daher auch die Circa-Angaben. Wer die ideale Schwimmlinie erwischt, schwimmt 2,5 km, aber das schafft meist keiner. Zum Glück ist es für morgen windstill gemeldet, sodass wir mit wenig Wellengang rechnen können. Sonnencreme werden wir aber nicht brauchen, erst auf Sylt soll es gegen abends etwas aufreißen. Zur Wattwanderung soll es regnen und erst beim Schwimmen nachlassen. Das ganze bei Höchsttemperaturen von 13-15° C und Wassertemperatur 16° C. Na wenigstens ist das Wasser wärmer. Eine Windjacke könnte also auch am Rad sinnvoll sein und vielleicht sogar Armlinge. Mittlerweile ist auch die Radstrecke markiert und wir werden auf die besonderen Gefahren hingewiesen: Schafe. Die Strecke führt am Deich entlang – Hauptaufenthaltsgebiet und Arbeitsplatz der Deichschafe. Der größte Spaß wartete auf Sylt, neben zwei Dünen die es zu überwinden gilt, geht es die 3 km am Weststrand von Hörnum im feinstem Sand am Strand Richtung Ziel. Und das bei Hochwasser. Das heißt wir können der Anstrengungen nicht entgehen indem wir taktisch clever am Flutsaum entlang laufen, wo der Sand fester wäre. Und dazu noch die Info bezüglich des Knockout Modus: nach einer Stunde zehn Minuten ist der erste Knockout beim Schwimmen. Wer danach aus dem Wasser kommt, darf gleich zum Duschen. Nach einer weiteren Stunde zwanzig Minuten der zweite Knockout nach dem Radfahren. Ab dann darf man nicht mehr mit auf ein Boot in Richtung Sylt. Die Zeiten werden gnadenlos eingehalten, zur Sicherheit der Athleten, denn die Tide verhindert spätere Fahrten. Bennie ist begeistert. Jetzt brauche ich wirklich ein echtes Bier.
Der Wettkampf: Beinahe wäre ich zu spät gekommen. Nicht zum Start, sondern auf die Toilette. Ich habe nervösen Durchfall. Scheinbar weiß mein Körper, dass er heute allen unnötigen Ballast früh morgens loswerden muss. Es ist 5:38 Uhr und Swen’s Wecker klingt erbarmungslos. Ich fühle mich als hätte ich heute Nacht nur 2 Stunden geschlafen. Was vermutlich auch stimmt, ich war nervös und Swen hat eine verstopfte Nase, was ihn die ganze Nacht hat röcheln lassen. Ein schlechte Kombination. Zum Glück erinnere ich mich an einen Artikel aus der Runner’s World, wo es mal hieß, dass die Nacht vor dem Wettkampf nicht relevant sei, sondern die Woche davor. Was soll ich sagen, die war jetzt auch nicht grad von tiefer Erholung geprägt. Wird das mein Schicksal bei Tri-Islands besiegeln? Bin zum Glück zu müde, um den Gedanken weiter zu verfolgen. Ich funktioniere wie automatisch. Zähne putzen, Duschen, anziehen. Um zwanzig nach sechs treffen wir uns zum Frühstück beim Bäcker, der um 6:30 Uhr öffnet. Großer Kaffee, Brötchen, Gebäck und noch was für unterwegs einpacken lassen (wir warten ja ein paar Stunden auf die Flut). Um halb acht checken wir die Räder ein und bereiten uns vor. Leider sind die Tische und Bänke in der Strandkorbhalle schon abgebaut. Es gibt nur eine überdachte Bank vor den öffentlichen Toiletten die uns vier als Wartebereich dient. In knapp einer Stunde geht es los und mir ist jetzt schon kalt – hätte mehr anziehen sollen. Um 8:50 Uhr treffen sich alle Athleten zur Wattwanderung. Erst müssen wir knapp 2 km am Deich entlang – hier ist es doch sinnvoll noch die Schuhe dabei zu haben. Dann geht es mit den Wattführern durch das Weltnaturerbe Wattenmeer, ca. 7 km, und wir freuen uns über die Neoprensocken mit Sohle. Schon komisch, wo doch der direkte Weg nur 2,5 km wären. Wir müssen wegen der tiefen Priele einen kleinen Umweg nehmen. Und sinken hier schon teilweise hüfttief in die Gräben ein. Normalerweise reicht das schon für ein ordentliches Mittagessen. Nach zweieinhalb Stunden erwartet uns erst noch ein Fußmarsch von ca. einem Kilometer zum Wartebereich – ausgestattet mit Sonnenschirmen und Kühlschränken voller Energie-Getränken der Marke Red Bull. Das ganze wirkt irgendwie bizarr bei 14° C und Regen.
Wir sind vom Regen und den durchwateten Prielen nass bis auf die Haut. Jetzt heißt es noch 2,5 Stunden warten und frieren. Die ersten Athleten wärmen sich hinten an den Kühlrippen der Kühlschränke auf. Wir suchen Schutz vor Wind und Wetter in einer Infohütte der Schutzstation Wattenmeer und stehen eng gedrängt in dem Bretterverschlag mit ca. 15 anderen Startern. Wie Königspinguine schützen wir uns gegenseitig vor den Naturgewalten und der Kälte. Die ersten fangen an sich Ihre Neoprenanzüge anzuziehen und wir folgen diesem Vorbild. Und schon wird es deutlich besser. Die Fleecepulli’s und Regenjacken darüber und langsam ist es zwar immer noch weit weg von angenehm warm, aber wenigstens erträglich. Angela versorgt uns mit Kuchen und das Käsebrötchen vom Bäcker wird auch schnell verdrückt. Endlich geht es weiter, endlich rückt der Start näher. Letzte Instruktionen vom ‚Maskotchen‘, Beutel abgeben, schon laufen wir gemeinsam zum Schwimmstart. Langsam bewegt sich das ganze Teilnehmerfeld, fast andächtig wie bei einer Prozession. Aus der Ferne wird der große Red Bull Torbogen sichtbar und in mir steigt ein Gefühl der Demut auf. Soll das wirklich mein Event sein? Heute ist das Meer ruhig, es ist fast windstill und wir blicken zuversichtlich Richtung Föhr. Die ganze Strecke ist mit Booten gesäumt, Katamarane mit bunten Segeln weißen uns den Weg. ‚Beim letzten Katamaran rechts halten, dann kommt ihr ziemlich genau beim Zielbogen (der etwa 200 m links davon ist) raus‘ sagt der Orga-Leiter, das liegt an der starken Strömung dort. Wir versuchen uns daran zu erinnern, wenn wir in ca.45 Minuten soweit sind. Es herrscht eine angespannte Ruhe vor dem Start, Bennie reiht sich mit mir ganz hinten ein, wir müssen ja nicht von allen überholt werden. Die ersten Meter geht es sehr seicht los und wir können/müssen ca. 200-300 m ins Meer laufen oder rennen. Da wäre ich ja eigentlich vorne dabei – aber Bennie mahnt zur Zurückhaltung. Ich werde die Energie hinten raus beim Schwimmen brauchen. Der weiß auch, wie man mich motiviert. Fast alle schwimmen sich ein oder gehen zumindest obligatorisch vorher ins Meer. Wir auch, aber so richtig verstehen tue ich das nicht. Egal, wird schon sinnvoll sein, wenn es alle machen. Es ist mit 16° C auf jeden Fall kalt genug, dass ich nicht das dringende Gefühl verspüre länger als nötig darin zu verbringen. Wir warten hinter dem Startbogen und die Anspannung ist fast durch ein Knistern in der Luft spürbar. Mein Puls schwankt zwischen 92 und 100, was mir relativ hoch erscheint, dafür dass ich nur rumstehe. Vermutlich ist mein Körper noch im Warmhalte-Modus und heizt ein. Der Startschuss fällt und wir stürmen in die Nordsee. Bennie versucht schon bei 30 cm Wassertiefe zu schwimmen. Leider ziemlich erfolglos, vermutlich schleift der Bauch am Boden. Ein ziemliches Gewusel ist plötzlich im Wasser und wir suchen unseren Rhythmus zu finden. Dabei verliere ich fast Bennie, er hat mich aber stets im Blick und ich fühle mich sicher in seiner Obhut. Von der Kälte spüre ich nichts – vor Aufregung und Bewegung. Alles funktioniert jetzt irgendwie und wir machen gut Strecke, erst kurz vor dem letzten Katamaran spüre ich ein Gefühl der Erschöpfung und die niedrigen Wassertemperaturen. Wäre auch nicht schlecht, wenn es langsam vorbei wäre. Einer der Helfer ruft uns aus einem Boot zu, links zu bleiben und den Katamaran nicht wie in der Wettkampfbesprechung empfohlen, rechts. Wir sind kurzfristig verwirrt, folgen jedoch der Anweisung – ein Fehler wie sich herausstellt. Wir kommen voll in die Strömung, die uns ordentlich abtreiben lässt. Dennoch heißt es Ruhe bewahren, nicht dagegen anschwimmen und lieber die paar hundert Meter am Strand entlang laufen. Der Strand kommt immer näher und als das Wasser nur noch knietief ist, beginnen wir zu laufen. Der Sand ist tief und schwer vom Regen und wir verlieren wertvolle Sekunden. Eine Stunde und vier Minuten sind wir geschwommen – noch 6 Minuten Puffer hätten wir gehabt, ziemlich knapp. Ich stürze zweimal im Sand wo ich zum Glück weich falle. Endlich, beim Zielbogen haben wir wieder festen Boden unter den Füßen. Schnell sprinten wir in die Wechselzone, Bennie ruft mir noch zu den Neo gleich vom Oberkörper abzustreifen. In der Wechselzone angekommen geht alles schon viel routinierter als noch in Erlangen und diesmal vergesse ich auch die Startnummer nicht am Lenker. Die Temperatur sagt eindeutig Weste und ich ziehe die Medwork-Windweste über.
Auf dem Rad fühle ich mich die ersten Kilometer schwach und obwohl ich Bennie in der Wechselzone überholt habe, dauert es nicht lange bis er an mir förmlich vorbei fliegt. Wow, was eine Power und ich krieg hier nix gebacken. Umso länger ich fahre, umso besser fühle ich mich und spüre wie die Kraft Stück für Stück kommt – vermutlich war die Muskulatur vom Schwimmen noch zu kalt. Nach den ersten Kilometern kann ich endlich die ersten überholen, was mir wieder Selbstvertrauen gibt. Kaum fange ich an mich gut zu fühlen, zischt Swen an mir vorbei mit einem lauten „weg da“. Er ist bereits auf der zweiten Runde – ich wurde überrundet. Was eine Blamage. Versuche mich mit dem Gedanken zu trösten, dass er ja Ex-Profi ist, will aber nicht richtig klappen. Erst als ich eine ganze Reihe anderer Starter überhole, geht es mir emotional besser. Der Wind ist kaum zu spüren, aber bei Gegenwind tue ich mir trotzdem schwer eine Schnitt von 30 km/h zu halten. Als ich in die Wechselzone komme, sehe ich die Countdown -Uhr 8 Minuten 20 Sekunden anzeigen – hätte gehofft schneller zu sein. Das lange schwimmen in der kalten Nordsee hat seinen Tribut gefordert. Das Ziel, mit dem Boot nach Sylt zu kommen ist aber trotzdem nicht in Gefahr. Rad aufhängen, aus den Schuhen und Beutel schnappen und dann barfuß zum Bootssteg rennen. Nicht gerade bequem, aber ich habe jetzt keine Zeit zu verlieren. Kurz vor dem Steg sehe ich Nadja – ihr Freund ist auch gestartet und offensichtlich schon weg. Ich versuche motiviert zu wirken.
Leider ist gerade ein Boot abgefahren, sodass ich etwas warten muss. Die Zeit nutze ich zum Socken und Schuhe anziehen. Noch schnell eine Softshell-Jacke für die Bootsfahrt überziehen, und andere 11 Athleten kommen an Board und schon rauschen wir ab. In 22 Minuten nach Sylt, das Wasser spritzt hoch und wir sind alle erleichtert und glücklich das Boot bekommen zu haben. Yeah, zu ersten Mal an diesem Tag bin ich richtig entspannt. Jetzt die Jacke und Radweste ausziehen in den Beutel und dann kommt meine Disziplin. Hier kann ich hoffentlich noch ein paar Plätze gut machen. In Hörnum legen wir direkt an der Adler IV an, werden von Helfern hochgezerrt, laufe durch das Schiff durch und werfen den Zusatzbeutel in die aufgestellten Wannen. Irgendwie sind die Beine noch nicht auf der Laufstrecke angekommen. Die Pause auf dem Boot, der Wind und das kühle Naß haben die Muskulatur wieder kalt werden lassen. Also locker los und selbst da kann ich einige überholen. Dass die Strecke anstrengend wird, wurde uns allen eindringlich gesagt, doch so schlimm habe ich es mir nicht vorgestellt. Am Luxus Hotel Budersand vorbei halten uns die Gäste auf der Terrasse für ziemlich verrückt, genießen Ihren Wein und scheinbar vorzügliches Essen. Über die erste Düne führen langgezogene Treppen, hier spüre ich meine Kräfte zurück kommen. Jetzt fühlt es sich an wie Laufen. Als wir auf den Radweg Richtung Rantum einbiegen entdecke ich Kati, die sich richtig freut, dass ich es tatsächlich geschafft habe. Kurz darauf überhole ich Nadjas Freund Michael. Er wirkt schon ziemlich angeschlagen, obwohl das härteste Stück noch auf uns wartet. Ab jetzt werde ich nicht mehr nachlassen und kämpfe mich Läufer für Läufer und Platzierung für Platzierung weiter nach vorne. Alleine bei der Dünenüberquerung zum Strand kann ich fünf andre überholen. Es fühlt sich gut an. Nur Bennie hätte ich doch längst einholen müssen. Wo ist er? Habe ich ihn etwa überholt und gar nicht erkannt? Nein, das kann nicht sein. Ab jetzt wird es schwer – der tiefe Sand setzt mir ganz schön zu und ich tue mich richtig schwer vorwärts zu kommen. Die ersten Athleten fangen an zu gehen. Der Puls geht immer höher, das Tempo wird immer langsamer. Und weit vorne entdecke ich ein Brehm-Trikot. Bennie? Wenn er es tatsächlich ist, kann ich nur meinen Hut ziehen, hatte er doch noch Bedenken den Knockout beim Laufen nicht zu schaffen und jetzt ist er vor mir. Ob ich es bis zum Ziel noch schaffe ihn einzuholen? Alleine diese Frage gibt mir neue Energie und ich setze alles ein, was noch im Akku ist. Leider ist da nicht mehr viel. Der letzte Kilometer verläuft auf befestigten Wegen durch das teuerste Wohngebiet von Hörnum durch die Dünen. Und kurz vor dem Ziel wartet Bennie auf mich – er will auf den letzten wenigen hundert Metern nicht überholt werden und wir nutzen die Chance Hand in Hand gemeinsam ins Ziel zu laufen.
Ein sehr intensives Erlebnis geht zu Ende. Wir sind erfüllt von Glück und Freude, gönnen uns nach dem Duschen ein paar Bier, Sansibar-Catering mit Curry-Wurst und Burger und verarbeiten die Strapazen an Board der Alder Express Fähre, die uns um 20:00 Uhr zurück nach Föhr bringt. Im Wissen, dass wir am nächsten Morgen mit der Fähre um 6:00 Uhr die Insel schon wieder verlassen müssen, nehmen wir den Shuttle-Bus zur Wechselzone statt zur Red Bull Tri-Islands Party. Dort packen wir unsere Sachen wie Neo und Rad und laufen zurück in unsere Ferienwohnung., beladen den VW-Bus und suchen noch eine Kneipe für ein Abschlussbier. Wir feiern einen 5. Platz bei den Frauen (Angela), einen 5. Platz bei den Männern (Swen), sowie Bennie’s grandiosen Lauf (104. Platz) mein Überleben (103. Platz). Um 1:30 Uhr sind wir endlich im Bett, um 4:48 Uhr klingelt Swen’s Wecker schon wieder und um 5:20 Uhr fahren wir zur Fähre nach Wyk. Gemütliches Frühstück auf der Fähre mit einem groooßen Kaffee und in Niebüll trennen sich unsere Wege – mich setzen sie am Bahnhof ab und ich fahre zurück nach Sylt und die drei wieder nach Mittelfranken.
Fazit: Zwei lange Tage sind zu Ende, ein weiterer Wettkampf auf dem Kerbholz und nun kann der Urlaub beginnen. Der Tri-Islands wird uns als ein wahnsinnig intensives Erlebnis eines sehr speziellen Wettkampfes mit genau der richtigen Portion Abenteuer, das teilweise etwas improvisiert wirkt, aber dennoch als gut organisiert in Erinnerung bleiben wird. Aufwändig ist dieser Wettkampf in jeder Hinsicht. Speziell auch. Jedoch mit Spaß statt übertriebenen Ehrgeiz angegangen, unbedingt empfehlenswert.